Kriegstüchtig werden?

Immer mehr Geld für immer mehr Waffen. Eine Übersicht zu den

veranschlagten Kosten der deutschen Aufrüstung

Von Lühr Henken

 

Lühr Henken ist Kosprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag,

Herausgeber der »Kasseler Schriften zur Friedenspolitik« und wirkt bei

der Berliner Friedenskoordination mit.

Wir dokumentieren im Folgenden einen Vortrag, den Lühr Henken am 18.

Juni 2024 im Rahmen des Webinars »Militarisierung gegen Soziales – Wer

bezahlt die Militarisierung Deutschlands?« der Initiative »Nie wieder

Krieg – Die Waffen nieder« gehalten hat. (jW)

 

Mit ihrem Gipfelbeschluss von Wales 2014 setzte die NATO einen

Aufrüstungskurs in Gang, mit dem Ziel, dass 2024, also jetzt, alle

europäischen NATO-Mitglieder sowie Kanada möglichst zwei Prozent ihres

Bruttoinlandsprodukts (BIP) für ihr Militär ausgeben sollten. Damals gab

die Bundesrepublik nach NATO-Kriterien, und nur die zählen, 1,19 Prozent

des BIP, knapp 35 Milliarden Euro aus, 2021, noch vor dem Ukraine-Krieg,

waren es gut 52 Milliarden Euro, also 1,46 Prozent des BIP, eine

deutliche Erhöhung also.

 

Seit der Zeitenwenderede von Olaf Scholz am 27. Februar 2022 aber ist

aus Aufrüstung Hochrüstung geworden. Scholz sagte damals wörtlich: »Wir

werden von nun an Jahr für Jahr mehr als zwei Prozent des

Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren.«¹ Das hätte

damals plötzlich 25 Milliarden Euro mehr aus dem Haushalt bedeutet. Das

war nicht drin. Also machte man 100 Milliarden Euro Schulden. Dies war

wegen der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse nicht durch eine

schlichte Kreditaufnahme möglich, sondern nur durch die Schaffung eines

Nebenhaushalts in Form eines sogenannten Sondervermögens Bundeswehr. Die

wiederum dafür notwendige Zweidrittelmehrheit für die Änderung des

Grundgesetzes ermöglichte die CDU/CSU.

 

Gelder aus dem Topf stehen maximal bis Ende 2030 zur Verfügung. Von den

100 Milliarden gehen 13 Milliarden Euro für Zinsen drauf.² Somit

schrumpft der Betrag für Waffen und Ausrüstung auf 87 Milliarden Euro.

Die Rückzahlung aus dem Bundeshaushalt beginnt 2031, läuft 31 Jahre lang

und kostet etwa drei Milliarden Euro pro Jahr.

»Wir müssen gewinnen«

 

Zur Begründung für die Hochrüstung führte der Bundeskanzler in seiner

Rede aus: »Putin will ein russisches Imperium errichten. Er will die

Verhältnisse in Europa nach seinen Vorstellungen grundlegend neu ordnen,

und dabei schreckt er nicht zurück vor militärischer Gewalt. Das sehen

wir heute in der Ukraine. Wir müssen uns deshalb fragen: Welche

Fähigkeiten besitzt Putins Russland, und welche Fähigkeiten brauchen

wir, um dieser Bedrohung zu begegnen, heute und in der Zukunft?«

 

Das ist das herrschende Narrativ. Sein Kerngedanke: Weil Russlands

Angriff auf die Ukraine Bestandteil eines imperialistischen Krieges

Putins zur Neuordnung Europas ist, sind wir bedroht. Deshalb unsere

Antwort: Aufrüstung. Aufrüstung der Ukraine und Aufrüstung der Bundeswehr.

 

Entsprechend wurden im November 2023 neue Verteidigungspolitische

Richtlinien (VPR) erlassen. Folgendes Zitat daraus demonstriert die

Richtung deutlich: »Die neue Qualität der Bedrohung unserer Sicherheit

und die brutale Realität des Krieges in der Ukraine verdeutlichen, dass

wir unsere Strukturen und Prozesse am Szenario des Kampfes gegen einen

mindestens ebenbürtigen Gegner ausrichten müssen: Wir wollen diese

Auseinandersetzung nicht nur gewinnen, sondern wir müssen.«³ Deshalb

gelte künftig »Kriegstüchtigkeit als Handlungsmaxime«. Das klingt nicht

nur aggressiv, es ist aggressiv. Allein schon deshalb, weil eine

deutsche Brigade – das sind 5.000 Soldaten – ab 2027 mit Kampf- und

Schützenpanzern, unter Bruch der NATO-Russland-Akte von 1997, dauerhaft

in Litauen stationiert werden soll. Die Kosten für Deutschland werden

einmalig auf fünf bis sieben Milliarden, der Unterhalt jährlich auf eine

Milliarde Euro geschätzt (Süddeutsche Zeitung, 24.4.2024).

 

Verteidigungsminister Boris Pistorius machte sich eine unbewiesene

Behauptung von Christian Mölling, dem stellvertretenden Direktor des

Forschungsinstituts des Thinktanks DGAP zu eigen, der seit November

behauptet⁴, Russland würde unmittelbar nach Ende des Ukraine-Krieges in

eine Rekonstitution seiner Streitkräfte gehen, die so immens wäre, dass

Deutschland nur noch ein Gelegenheitsfenster von sechs bis zehn Jahren

bliebe, um durch seine massive und beschleunigte Aufrüstung Russland von

einem Angriff auf beispielsweise das Baltikum abzuhalten. Obwohl es

keinen Beleg für dieses angebliche Vorhaben gibt, macht Pistorius

daraus: »Wir müssen bis 2029 kriegstüchtig sein.« (Der Spiegel, 9.6.2024)

 

Demgemäß entsteht der Eindruck, dass Russland dem Westen haushoch

überlegen ist, und der Westen sich sehr beeilen müsse, sein angebliches

Defizit so schnell wie möglich auszugleichen. Ist dem so? Um sich

militärisch durchsetzen zu können, gilt die Faustregel, wonach der

Angreifer eine dreifache Überlegenheit im Feld und in urbaner Umgebung

das Fünf- bis Achtfache dessen aufbieten muss, was der Verteidiger hat.

Betrachten wir das Kräfteverhältnis der Hauptwaffensysteme Russlands mit

der NATO: Der Spiegel brachte im Februar eine Gegenüberstellung. Er

berief sich auf aktuelle Daten des renommierten Jahrbuchs The Military

Balance, das vom NATO-nahen International Institute for Strategic

Studies (IISS) herausgegeben wird (Der Spiegel, 17.2.2024). Demnach

stehen 3,2 Millionen Soldaten der NATO-Staaten 1,1 Millionen Soldaten

Russlands gegenüber. Die NATO verfügt über 6.030 Kampfflugzeuge,

Russland hat 1.377. Die NATO zählt 8.901 Kampfpanzer, Russland 2.000.

Bei der Artillerie ist das Verhältnis 21.879 zu 5.485 zugunsten der

NATO, bei U-Booten 143 zu 50 und bei großen Kriegsschiffen 274 zu 33.

Diese Zahlen demonstrieren komplett das Gegenteil dessen, was uns

tagtäglich suggeriert wird. In Wirklichkeit muss sich Russland von der

NATO bedroht fühlen. Und das ist nicht erst seit Beginn des

Ukraine-Krieges so, sondern schon seit Jahrzehnten.

 

Russlands Präsident hat im Januar 2023 ein Aufrüstungsprogramm erlassen.

Demnach soll bis 2026 die Soldatenzahl von jetzt 1,1 auf 1,5 Millionen

wachsen. Nehmen wir an, die Zahl der russischen Waffensysteme würde

dementsprechend auch anwachsen. Welche Auswirkungen hätte das? Selbst

wenn die NATO-Staaten überhaupt keine neuen Waffen kaufen würden – was

sie bekanntlich ganz und gar nicht vorhaben – hätten sie noch das

dreifache Potential bei Heer und Luftwaffe und das Zwei- bzw. Sechsfache

bei der Marine. Im wesentlichen würde sich an den Kräfteverhältnissen

nichts ändern. Das bedeutet: Die Notwendigkeit deutscher Aufrüstung und

die der NATO-Staaten ist überflüssig und von daher rausgeschmissenes

Steuergeld. Ja, es gibt sogar Potential für einseitige westliche Abrüstung.

Neue Dimensionen

 

Das interessiert die NATO aber nicht. Sie hat 2022 in Madrid ein

umfassendes New Force Model beschlossen, wonach bis zum nächsten Jahr

ihre Schnelle Eingreiftruppe von seinerzeit 40.000 auf 100.000 Soldaten

erweitert werden soll. 300.000 sollen 2027 »combat ready« sein. Vor

nicht ganz zwei Wochen verkündete NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg

bereits vorzeitigen Vollzug. Die zweite Stufe mit 300.000 Soldaten sei

bereits mit der gemeldeten Zahl von 500.000 Soldaten, die binnen zehn

bis 30 Tagen kampfbereit sein sollen, übererfüllt worden (FAZ, 15.6.2024).

 

Die Bundeswehr rüstet entsprechend diesem NATO-Plan auf. 2025 und 2027

sollen jeweils eine Panzerdivision und 2029 die Division Schnelle Kräfte

»kaltstartfähig« aufgestellt sein, wie es im Bundeswehr-Jargon heißt.

Die Truppe soll dann jeweils aus dem Stand heraus hundertprozentig

ausgerüstet losziehen können. Dazu bedarf es einer Ausrüstung von 130

Prozent, denn erfahrungsgemäß ist etwa 30 Prozent des Materials in

Reparatur oder wird gerade umgerüstet und im Kampfwert gesteigert. Für

das Heer bedeutet das eine Verdreifachung der Kampfkraft.

 

Aber dafür braucht man auch Soldaten. Zurzeit sind es gut 185.000. Durch

Einführung einer Auswahlwehrpflicht soll es jährlich statt 15.000

Grundwehrdienstleistenden 20.000 geben. Das kostet jährlich etwa 1,4

Milliarden Euro. Perspektivisch soll die deutsche Armee auf 270.000

Soldaten wachsen, also auf fast 50 Prozent mehr als heute. Bedeutsamer

jedoch ist der geplante Aufwuchs der aktiven Reservisten von derzeit

43.000 auf 260.000 Personen (FAZ, 13.6.2024). Das führt zu einer Truppe

von zusammen 530.000 aktiven Soldatinnen und Soldaten und bricht den

Zwei-plus-vier-Vertrag, der die Streitkräfteobergrenze Deutschlands auf

370.000 Soldaten völkerrechtlich bindend festlegt.

 

Kommen wir nun zum deutschen Aufrüstungsprogramm, das Heer, Marine und

Luftwaffe sowie den Aufbau einer vierten Teilstreitkraft für den

Cyberkrieg umfasst. Ein wichtiger Posten für die drei erstgenannten

Teilstreitkräfte ist der Kauf neuer Munition für 20 Milliarden Euro.

Zwölf bis 14 Milliarden davon erhält Rheinmetall, verteilt über zehn

Jahre (FAZ, 15.3.2024).

 

Die 100 Milliarden Euro Sonderschulden sind fast zu 100 Prozent

verplant. Das Heer als größte Teilstreitkraft erhält aus den

Sonderschulden 50 neue »Puma«-Schützenpanzer und 123 neue

»Boxer«-Radpanzer mit der »Puma«-Kanone, die bis 2030 von Rheinmetall in

Australien für die Bundeswehr gefertigt werden. Über einen längeren

Zeitraum verteilt soll das Heer zudem 123 »Leopard 2 A8«, das neueste

Kampfpanzermodell, erhalten (Businessinsider.de, 11.5.2023). In diesem

Jahr sollen noch 900 Transportpanzer bestellt werden. Im Dezember hat

der Bundestag 500 Luftabwehrraketen des Typs »Patriot« bestellt, im März

kamen vier »Patriot«-Systeme hinzu, Pistorius will zudem noch in diesem

Jahr vier weitere »Patriots« beschaffen (FAZ, 31.5.2024). Das summiert

sich zusammen auf fast 18 Milliarden Euro.

 

Kleine Fische, gemessen am Kampfpanzerprojekt »Main Ground Combat

System« (MGCS). Dieses Vorhaben beruht auf einer Regierungsvereinbarung

von Angela Merkel und Emmanuel Macron aus dem Jahr 2017. Die neue

Kampfpanzergeneration MGCS soll die »Leopard 2« der Bundeswehr sowie die

»Leclerc«-Panzer in der französischen Armee ablösen und Mitte der 2040er

Jahre ausgeliefert werden. Ziel ist es, »ein Hightechsystem zu

entwickeln, bei dem Robotik und Waffen wie Hochgeschwindigkeitsraketen

eine entscheidende Rolle spielen« (NDR Info, 2.11.2019). Das MGCS soll

eine »rollende Gefechtszentrale für weitere autonom gesteuerte Fahrzeuge

sein« (FAZ, 12.7.2023.) und so zu einem militärischen »Gamechanger«

werden. Das heißt so viel wie: Mit MGCS soll jede Panzerschlacht

gewonnen werden. Es ist ein deutsch-französisches Projekt, aus dem die

USA und ihre Firmen herausgehalten werden (FAZ, 31.10.2019). Der Bau von

MGCS hat für Kanzler Scholz »oberste Priorität«.⁵

 

Die Marine soll 19 Milliarden aus den Sonderschulden erhalten. Schon

jetzt ist die deutsche Marine die größte aller NATO-Anrainer der Ostsee.

Die dortige NATO-Überlegenheit gegenüber der russischen Marine ist

gigantisch. Bei hochseegängigen Kriegsschiffen und U-Booten in der

Ostsee kommen auf 49 Einheiten der NATO-Anrainer nur neun russische.⁶

Bei allen anderen Militärschiffen in der Ostsee beträgt das

Kräfteverhältnis aktuell insgesamt 7,5 zu eins zugunsten der NATO.

 

Eine Auswertung der aktuellen Planung »Marine 2035 plus« ergibt eine

Steigerung der Zahl der Überwasserkampfschiffe auf das Dreifache: von 14

auf 42 (FAZ, 29.3.2023) und die der U-Boote auf das Zweieinhalbfache von

sechs auf bis zu 15. Die einzelnen Kriegsschiffe werden immer größer,

teurer, kampfstärker und können von See aus Land beschießen.

Gigantische Luftwaffe

 

Der größte Brocken aus den Sonderschulden soll an die Luftwaffe gehen.

Die FAZ schreibt der Luftwaffe 41 Milliarden Euro zu. Knapp acht

Milliarden davon fließen in 60 schwere Transporthubschrauber. Bisher

fünf Milliarden sind für das neue Luftverteidigungssystem ESSI

vorgesehen. Alles in allem soll bis Ende des Jahrzehnts etwa die Hälfte

der Luftwaffe erneuert werden. Das bedeutet 118 »Eurofighter« und

»Tornados« sollen durch 128 neue Kampfflugzeuge »ersetzt« werden (FAZ,

14.10.2023). Scholz – und das ist ganz neu – will zusätzlich noch 20

»Eurofighter« für vier Milliarden Euro bestellen. (FAZ, 10.6.2024)

 

Altersschwache »Tornados« dienen derzeit noch im Rahmen der sogenannten

nuklearen Teilhabe der NATO dazu, in Büchel gelagerte US-Atombomben in

Richtung Russland tragen zu können. Als »Tornado«-Ersatz wurde grünes

Licht für 35 Tarnkappenbomber des Typs F-35 gegeben, die 2027 bis 2031

ausgeliefert werden und 2029 die erste Einsatzfähigkeit erreichen

sollen. Mit elf Milliarden Euro ist das bisher der größte Einzelposten

der Luftwaffe (FAZ, 10.3.2024). Wenig beachtet wurde bisher, dass die

Bundesregierung 2022 für die F-35 auch 75 Marschflugkörper mit einer

Reichweite von 1.000 Kilometer in den USA bestellt hat. Sie können – von

NATO-Gebiet aus abgesetzt – Moskau erreichen. Erwogen wird, weitere acht

F-35 zu kaufen.⁷

 

Die in Büchel gelagerten 15 atomaren US-Freifallbomben sollen schon ab

diesem Jahr durch wesentlich präziser steuerbare Nachfolgemodelle des

Typs B61-12 ersetzt werden. 15 »Eurofighter« werden als Begleitflugzeuge

für die US-Atombomber zur Ausschaltung der russischen Flugabwehr

angeschafft. Sie werden ab 2029 erwartet.

 

Die Fähigkeit, weit im Hinterland Russlands angreifen zu können, wird

als Deep-Strike-Fähigkeit bezeichnet und leitet sich aus der Nationalen

Sicherheitsstrategie der Bundesregierung ab. Dort heißt es, dass die

Bundesregierung die Entwicklung und Einführung von sogenannten

abstandsfähigen Präzisionswaffen fördern wolle.⁸ In diesem Zusammenhang

wird die Aussage des stellvertretenden Luftwaffeninspekteurs Lutz

Kohlhaus von Anfang des Jahres bedeutsam, die NATO sei nicht in der

Lage, in einem potentiellen Krieg ihren Luftraum umfassend zu schützen:

»Die Allianz müsse sich deshalb in die Lage versetzen, das

Luftkriegspotential eines Gegners schon auf dessen Territorium

zerschlagen zu können.«⁹ Scholz und Macron vereinbarten Ende Mai die

gemeinsame Entwicklung von Lenkraketen mit Reichweiten über 500

Kilometer. Mit Großbritannien verfolgt Scholz eine ähnliche Kooperation

(FAZ, 29.5.2024).

 

Von den 600 »Taurus«-Marschflugkörpern sind lediglich 300 zur Zeit

einsatzbereit. Die anderen sollen einsatzbereit gemacht und modernisiert

werden. Die Aufträge sind aber noch nicht erteilt. Darüber hinaus hat

nach Aussagen des neuen Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses Marcus

Faber (FDP) vom Februar Deutschland der NATO gegenüber zugesagt, »mehr

als 1.000 ›Taurus‹-Marschflugkörper vorzuhalten« (Tagesschau.de,

12.4.2024). Die FAZ zitiert den »Rüstungsfachmann Fabian Hoffmann« von

der Universität Oslo: »Für den ›Taurus‹ schätzt er die Reichweite (…)

auf 700 bis 800 Kilometer« (FAZ, 14.3.2024).

 

Die in der Entwicklung befindlichen »Eurodrohnen«, von denen die

Bundeswehr ab 2030 21 Stück in Jagel stationieren will, werden sich von

3,5 auf 4,8 Milliarden Euro verteuern (FAZ, 16.5.2024). Die

»Eurodrohnen« sind sowohl Spionage- als auch Kampfdrohnen und werden in

Bundeswehrkreisen als »europäische Superdrohne« und als ein »echter

Gamechanger« für die Luftwaffe gepriesen. Sie sind als Bestandteil des

deutsch-französischen Jahrhundertprojekts FCAS vorgesehen, dem sich auch

Spanien angeschlossen hat.

 

Die Entwicklung des Kampfflugzeugsystems der Zukunft FCAS, »Future

Combat Air System«, hat begonnen. In den Jahren 2040 bis 2080 soll

dieses KI-unterstützte Luftwaffensystem mit Kampfflugzeugen und

Kampfdrohnen im Verbund mit Heeres- und Marineverbänden für weltweite

Luftüberlegenheit sorgen. Weil für FCAS nur europäische Bauteile

verwendet werden, ist es ein rein europäisches Projekt unter

deutsch-französischer Führung: der erste Schritt zu einer eigenständigen

Militärmacht EU. Es wird einzigartig teuer. Greenpeace¹⁰ errechnete

Gesamtkosten von astronomischen 1.100 bis 2.000 Milliarden Euro. Noch

kann man aussteigen: Geschieht es bis Ende des Jahrzehnts, hätte

Deutschland nur fünf Milliarden Euro in den Sand gesetzt. Für Scholz hat

die Umsetzung von FCAS allerdings »oberste Priorität«.¹¹

Zwei Prozent: die Untergrenze

 

Diese Auflistung ist bei weitem nicht vollständig. Sie führt nur

Projekte auf, die besonders teuer sind und ermöglichen sollen,

Deutschland in eine europäische Führungsrolle zu bringen, sei es kurz-

und mittelfristig in der NATO oder langfristig in einer autonomen EU.

Projekte, für deren Finanzierung die NATO wegweisend auf ihrem Gipfel in

Vilnius im Juli letzten Jahres den passenden Beschluss gefasst hat: »Wir

verpflichten uns dazu, jährlich mindestens zwei Prozent des BIP für die

Verteidigung auszugeben, (um) die neuen NATO-Verteidigungspläne und das

Streitkräftemodell mit Ressourcen auszustatten.«¹² Zu beachten ist an

dieser Festlegung zweierlei: Beschlossen wurde dies ohne zeitliche

Begrenzung und der Beschluss beinhaltet das Adverb »mindestens« –

mindestens zwei Prozent.

 

Für dieses Jahr gab die NATO am 17. Juni die von der Bundesregierung

angegebene Schätzung heraus: 90,6 Milliarden Euro. Das entspreche 2,12

Prozent des erwarteten BIP.¹³ Und es bedeutet ein Plus von 23 Milliarden

Euro gegenüber dem vergangenen Jahr. Inflationsbereinigt ist das ein

Anstieg um 29,4 Prozent und das 2,6fache gegenüber 2014.

 

Die 90,6 Milliarden Euro setzen sich zusammen aus knapp 52 Milliarden

Euro des »Einzelplans 14«, also dem Verteidigungshaushalt, knapp 19

Milliarden Euro hat die Regierung als verteidigungsrelevant in anderen

Ressorts gefunden, ohne darüber näher Auskunft zu geben. Das heißt,

insgesamt 70,8 Milliarden Euro kommen aus dem Bundeshaushalt, 19,8

Milliarden werden dem sogenannten Sondervermögen entnommen. Scholz hat

deutlich gemacht, dass die »mindestens zwei Prozent« auch ausgegeben

werden sollen, wenn der Topf mit den 100 Milliarden Euro leer ist. Das

wird spätestens Ende 2027 der Fall sein.

 

Im Bundestag sagte er: »Wir garantieren der Bundeswehr zwei Prozent

NATO-Quote auch 2028, 2029 und 2030, in den ganzen 30er Jahren.«¹⁴ Das

bedeutet, spätestens ab 2028 werden sämtliche Militärausgaben direkt aus

dem Bundeshaushalt bezahlt werden müssen. Das bestätigte Scholz im

Bundestag: »Und ja, schon jetzt, schon heute, ist klar, dass wir

allerspätestens ab 2028 zusätzliche 25 Milliarden, vielleicht auch fast

30 Milliarden Euro für die Bundeswehr aus dem Bundeshaushalt direkt

finanzieren müssen.«¹⁵ Das hat zur Folge, dass bereits im Haushalt 2028

die erhöhten Bundeswehr-Ausgaben von etwa 95 Euro Milliarden stehen. Wie

das genau aussieht, soll sich am 3. Juli zeigen, wenn das Kabinett die

mittelfristige Finanzplanung 2025 bis 2028 verabschiedet. Konkret wird

sich zeigen, wie sich diese Mehrausgaben in Höhe von fast 25 Milliarden

im Vergleich zu diesem Jahr in anderen Ressorts niederschlagen.

Wer zahlt die Zeche?

 

Pistorius weitete im Februar schon mal den Horizont für weitere

Ausgabensteigerungen. Er sagte, »es könnte sein, dass wir drei oder 3,5

Prozent erreichen. Das hängt davon ab, was in der Welt passiert«

(Tagesschau.de, 18.2.2024). Was würde das finanziell bedeuten? Auf der

Basis des BIP-Wertes von diesem Jahr würde das statt 71, horrende 125

bzw. 150 Milliarden Euro für die Bundeswehr pro Jahr ergeben. Also etwa

55 bzw. 80 Milliarden Euro mehr als zur Zeit. Wenn keine neuen Schulden

dafür aufgenommen werden würden, müsste das zusätzliche Geld aus dem

Haushalt kommen. Woher nehmen? Schauen wir uns den »Worst Case« an. Das

wäre die Entnahme aus dem Etat des Arbeitsministeriums. Er umfasst 175

Milliarden Euro. Nach heutigen Maßstäben würde das bedeuten, dass bis

zur Hälfte der Sozialausgaben gekürzt werden müssten. Die Folge:

Halbierung des Bürgergeldes, Halbierung der Grundsicherung, Halbierung

der Arbeitsförderung und auch der Rentenzuschüsse aus dem

Bundeshaushalt. Letzteres hieße Kürzung der Renten um bis zu 20 Prozent.