Bettina Peipe zum Handlungskonzept für Flüchtlinge in Gelsenkirchen

Rede anlässlich der Ratssitzung am 01.10.2015

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, meine Damen und Herren! 

Deutschland hat sich lange Zeit einer Selbsttäuschung hingegeben, der Täuschung nämlich, es werde alles schon nicht so schlimm werden. Wir ernten jetzt die Früchte einer jahrelangen Untätigkeit, denn Organisationen wie Pro Asyl warnen seit mehreren Jahren vor einer stark steigenden Flüchtlingsbewegung.

Wir leben in einer kleiner werdenden Welt. Die Menschen sind vernetzt. Wir haben die Globalisierung. Aber bei der Globalisierung kann man sich nicht nur die Rosinen aus dem Kuchen picken, sondern man muss auch die Belastungen, die damit einhergehen, einkalkulieren. Es ist wie in dem Goethe-Gedicht vom Zauberlehrling: „die Geister, die ich rief, die werd` ich nun nicht los.“

Was jetzt in Gelsenkirchen als  Problem ankommt, ist die Folge einer seit Jahren verfehlten Flüchtlingspolitik. Die Bundesregierungen haben sich nicht genügend kritisch gegenüber der amerikanischen Regierung positioniert. Die amerikanischen Streitkräfte haben seit 1980 vierzehn islamische Staaten bombardiert und führen seit Jahren einen mörderischen Drohnenkrieg.

Die UNO ist chronisch unterfinanziert und kann nicht einmal mehr für die ordnungsgemäße Versorgung der Flüchtlinge in den Flüchtlingslagern sorgen und das nicht zuletzt, weil auch die USA sich weigern, ihren Teil der Kosten zu übernehmen. Das Welternährungsprogramm ist gerade um die Hälfte gekürzt worden. All das produziert Flüchtlinge, jeden Tag.

Die USA sind nach allgemeiner Auffassung  ein befreundeter Staat und im Großen und Ganzen würde ich dem zustimmen, obwohl mir das Wort Freundschaft in Bezug auf Staaten immer recht schwer über die Lippen kommt und ich eher Egon Bahr zustimmen würde, dass Staaten Interessen haben, keine Freunde. Aber, wenn wir diese Freundschaft, die hier allenthalben beschworen wird, ernst nehmen würden, dann gehörte dazu wohl auch, mit einem Freund Tacheles zu reden, wenn der sich wohlweislich seit Jahren auf einem fatalen Irrweg befindet, anstatt ständig den Kotau vor ihm zu üben.

Die Entwicklungshilfeanstrengungen sind absolut nicht ausreichend und entsprechen seit Jahren nicht den gegebenen Zusagen. Wir hatten 0,7 Prozent des BNE zugesagt und wir liegen seit Jahren unter 0,4 Prozent des BNE.

Ich stimme Ihnen zu Herr Oberbürgermeister, gerade in der jetzigen Situation brauchen wir einen starken Staat und das dumm-dreiste Geschwätz der Apologeten des Neoliberalismus vom Schlage eines  Grover Glenn Norquist vom schlanken Staat, den man so klein machen wollte, „dass man ihn  in der Badewanne ersäufen kann“ sollte spätestens seit der Finanzkrise, in der es sich selber ad absurdum geführt hat, obsolet sein.

Wir stellen in Gelsenkirchen fest, dass Aufgaben gerade noch so mit den hauptamtlichen Kräften bewältigt werden können und das auch nur, weil Gelsenkirchen sich nicht vollständig diesem neoliberalen Dogma vom Personalabbau unterworfen hat. Jetzt jedoch in einer Krisensituation, kommen alle offiziellen Mitarbeiter an ihre Belastungsgrenzen. Teilweise haben wir es in Gelsenkirchen mit einem krassen Missverhältnis zu tun. Besonders in der Jugendarbeit für Flüchtlinge stehen in einigen Fällen 45 hauptamtliche Mitarbeiter 500 ehrenamtlichen  Kräften  gegenüber, ohne die die Arbeit faktisch nicht mehr bewältigt werden könnte. Durch solch einen überbordenden Einsatz von Ehrenamtlern werden mittlerweile auch dringend benötigte Arbeitsplätze nicht besetzt, die erforderlich wären, um die Städte arbeitsfähig zu halten und um die Aufgaben effizient ausführen zu können.

Das Ehrenamt sollte ein Ehrenamt bleiben und nicht dazu missbraucht werden, dem Sozialstaat die Möglichkeit zu bieten, sich mehr und mehr aus Aufgaben zurückzuziehen, die der Staat zu erledigen hat. Ehrenamt kann eine funktionierende Verwaltung nicht ersetzen.

Der Bund und das Land dürfen sich nicht länger ihrer finanziellen Verantwortung für die Kommunen entziehen.

Die Integrationsaufgabe, die vor Gelsenkirchen liegt, ist eine Herkulesaufgabe, denn schon heute liegt die Quote der Schüler ohne Abschluss in Gelsenkirchen bei fast 11%,- das ist exorbitant hoch.

Es muss also alles getan werden, um diese Quote nicht noch weiter steigen zu lassen. Es muss massiv in Bildung investiert werden. Die Zahlen bei Sprachkursen für Flüchtlinge sind jedoch ernüchternd.

Einer Zahl von  im Minimum 800 000 – 1000000 Flüchtlingen in 2015 stehen 1500 Plätze in berufsbezogenen Sprachkursen gegenüber und gerade einmal 50000 Plätze in normalen Integrationskursen. Um hier eine  Katastrophe zu verhindern, müssen alle Beteiligten horrende Summen in die Hand nehmen, auch um Lehrerstellen zu schaffen, die diese Flüchtlinge professionell unterrichten können. Solche Stellen fehlen und noch dazu werden diese Stellen entsetzlich schlecht bezahlt. Das ist ein skandalöser Zustand.

Die Fraktion der Linken wird das Handlungskonzept zur Aufnahme von Flüchtlingen unterstützen, aber wir werden auch sehr kritisch darauf schauen, dass zentrale Unterbringungsstätten wie Turnhallen etc. nicht zu einer Dauereinrichtung in Gelsenkirchen werden.

Wir halten es für unzumutbar, Menschen länger als 2-3 Monate in solchen Unterkünften unterzubringen. Solche Massenunterkünfte, in denen es faktisch keine Privatsphäre gibt, sind eine Brutstätte für Stress und schlichtweg nur als Notmaßnahme akzeptabel.

Die LINKE hat nicht nur die Befürchtung, dass von rechtsextremistischer Seite Stimmung gegen Flüchtlinge gemacht werden wird, sondern, dass auch durch interessierte Kreise in der Wirtschaft und in  den konservativen Parteien bereits mühsam Erreichtes wieder in Frage gestellt werden wird - so beispielsweise der schon jetzt nicht ausreichende Mindestlohn.

Die Versuche Flüchtlinge und Einheimische auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt gegeneinander auszuspielen, werden, wie bereits in Ansätzen zu sehen ist, zunehmen. Diese Kreise werden versuchen mit dem Hinweis auf steigende Flüchtlingszahlen, Sozialstandards noch weiter zum Schaden aller zu senken.

Wir von der LINKEN erwarten hier von der SPD in der Regierungskoalition eine klare Positionierung gegen derartige Tendenzen.