Rede von Bettina Peipe zum Handlungskonzept für Flüchtlinge in der Ratssitzung am 26.11.2015

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, meine Damen und Herren,

angesichts der jetzt noch zunehmenden Flüchtlingszahlen, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass wir es auf bundespolitischer Ebene mit einem kompletten Staatsversagen zu tun haben.

Gelsenkirchen als Kommune versucht alles, was in ihrer Macht steht, um die schlimmsten Folgen für die betroffenen Flüchtlinge abzumildern, aber auch hier kommen die Bediensteten an ihre Grenzen. Man muss klar konstatieren, dass gewisse Aufgaben ohne die Einbeziehung Freiwilliger nicht mehr zu bewältigen wären.

Man gewinnt den Eindruck, dass die Regierung in Berlin den Ernst der Lage immer noch nicht begriffen hat. Man sieht Frau Dr. Merkel von einem Gipfel zum nächsten wabern, aber konkrete Ergebnisse sind nicht zu verzeichnen,- außer einer geplanten, massiven Verschärfung des Asylrechts. Gelsenkirchen hat immer noch keine konkreten Zusagen für Lehrerstellen und für zusätzliche Mittel, um Schulpsychologen und Sozialarbeiter einstellen zu können. Es kommen Menschen hier an, die zutiefst kriegstraumatisiert sind. Diese Menschen brauchen professionelle Betreuung und eine schnellstmögliche Eingliederung in den Schulalltag und den Arbeitsmarkt, nicht  einen Ehrenamtlichen, der Händchen hält, auch wenn dies in der besten Absicht geschieht. 

Es gibt nur 50000 Plätze in Integrationskursen und nur lächerliche 1500 Plätze stehen in berufsbezogenen Sprachkursen im Bundesgebiet zur Verfügung. Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft geht davon aus, dass wir mindestens 24000 neue Lehrerstellen brauchen.  Ca. 38000 Pädagogen wären es insgesamt, wenn man die zusätzlichen Kräfte für Kitas hinzurechnen würde. Es gibt dazu keine Aussagen der Bundesregierung. Solange das so ist, ist  auch das Handlungskonzept für Flüchtlinge in großen Teilen nur eine Ankündigung. Ob es realisiert werden kann, ist eine andere Frage, denn alles steht unter Finanzierungsvorbehalt.

Die große Koalition hat sich auf einen 9 Punkte Plan geeinigt. Von diesen 9 Punkten befasst sich überhaupt nur einer mit dem Thema Integration. Die Tendenz ist klar: Flüchtlinge und Asylsuchende sollen noch weiter entrechtet und abgeschreckt werden. Berlin zeigt keinerlei Tendenz, etwas langfristig auf den Weg zu bringen, was auch Gelsenkirchen zugutekäme. Es gibt keine Unterstützung für Hilfskräfte und Ehrenamtler, keine Vorstellung wie eine menschenwürdige Erstunterbringung erfolgen soll, keine Ansätze in Richtung sozialer Wohnungsbau. Für eine Million Menschen braucht es 400 000 Sozialwohnungen. Es gibt auch keine Konzepte für den Arbeitsmarktzugang für diese Menschen.

Wie ich im Ausschuss für Arbeit und Soziales schon angedeutet habe, hat ein Expertengremium von 100 Wissenschaftlern, der Rat für Migration, den Vorstoß der Regierung zur Flüchtlingsfrage in Grund und Boden geschrieben. Er sei nicht hilfreich, in weiten Teilen kontraproduktiv und man habe Entwicklungen, die seit 2013 absehbar gewesen seien, komplett verschlafen. So das Expertenurteil von Wissenschaftlern, die sich ausschließlich mit Flüchtlingsbewegungen, Fluchtursachen, etc. beschäftigen.

Mindestens seit 2013 haben Organisationen wie Pro Asyl vor derartigen Entwicklungen gewarnt. 2013 ereignete sich die erste große Katastrophe vor Lampedusa, vielleicht muss man noch einmal daran erinnern.

Die Bundesregierung scheint sich von der Realität verabschiedet zu haben. Man erträumt sich weiterhin eine Festung Europa, aber diese Zeiten sind vorbei! Man hört teilweise gerade aus den Reihen der konservativen Parteien völlige Abstrusitäten, bei denen man den Eindruck hat, dass nur noch die Affekte des Stammtisches bedient werden sollen. Eine der „grandiosen Ideen“ dieser angeblich christlichen Parteien  lautet: Die Kosten für Integrationskurse auf das soziokulturelle Existenzminimum anzurechnen. Das heißt, wenn jemand Deutsch lernen will, dann soll er sich das gefälligst vom Munde absparen, das ist nicht mal mehr ansatzweise mit Artikel 1 des Grundgesetzes, die Würde des Menschen ist unantastbar, vereinbar.

Die völlige Untätigkeit in Bezug auf die eigentlichen Probleme kann zu einer wirklichen Katastrophe führen. Angefangen von Pro Asyl, über den Rat für Migration bis hin zum Paritätischen Wohlfahrtsverband halten alle die alten Abschottungs- und Abschreckungsstrategien für obsolet.

Stattdessen wäre jetzt Unterstützung der Kommunen das Gebot der Stunde.

Sollte Integration nicht gelingen und sollten mangelnde Ausgaben in Bildung, wie seit Jahren, die Norm bleiben - wir liegen bei 4,4 % des BIP, also noch weit unter dem OECD-Schnitt von 5,3% des BIP- dann brauchen wir uns über weitere Terrorszenarien, wie jetzt in Paris, nicht zu wundern. Denn ich darf kurz daran erinnern, dass es französische Jugendliche waren, die diese  Anschläge begangen haben. Jugendliche aus den Banlieues, die man sich selbst überlassen hatte.

Gescheiterte Integration gebiert Gewalt und deswegen sollten sich alle Akteure in Berlin weniger Gedanken um weitere Abschottung machen, sondern endlich Geld und Mittel bereit stellen, damit diese Menschen hier mit uns eine gemeinsame Zukunft haben.

Abschließend  möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass wir als Fraktion Die LINKE das Handlungskonzept grundsätzlich unterstützen und es kritisch begleiten werden und ich möchte noch einmal die Spitzen der Stadt ermuntern, mehr als deutlich in Berlin die wirklichen Handlungsfelder aufzuzeigen. Integration in diesem Ausmaß ist nicht nur eine gesamtstädtische, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die, und das muss man den Bürgern sagen, ca. 10- 20 Milliarden an Kosten verursachen wird. Integration ist nicht zum Nulltarif zu haben. Versuchen Sie, meine Damen und Herren der Stadtspitze, endlich Herrn Schäuble von seiner abstrusen „schwarzen Null“, die ja bei ihm fast zur fixen Idee geworden ist, abzubringen, dann schaffen wir das ganz sicher, aber ebennur dann.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Bettina Angela Peipe, Die LINKE

26.11.2015

Es gilt das gesprochene Wort.